An der
Grenze:
Treffurt
Paar Tage vor dem Ende der Ausbildung in
Eisenach erfuhren wir unsere Einsatzorte an der Grenze.
Treffurt empfand ich
als Glücksfall: Es lag relativ dicht an Eisenach, das bedeutete einen
gewissen zivilisatorischen Mindeststandard und eine ziemlich gute
Verkehrsverbindung für den Urlaub. Mit z.B. der Rhön hätte es mich
wesentlich schlimmer treffen können, die lag ja - im übertragenen Sinne -
kurz vor Sibirien.
Die 4. Grenzkompanie in Treffurt trug den Namen
"Manfred Portwich". Hauptwachtmeister Manfred Portwich, geboren 1925, war ab
1949 Angehöriger der Grenzpolizei und wurde am 27.10.1951 - der Beschreibung
nach - an der "Straße Wanfried (heute B 249) durch Grenzverletzer erschossen.
In der "Huscha"
Treffurt - so (in Anlehnung an die Abkürzung für die Hundertschaften des
BGS) die umgangssprachliche Bezeichnung für die Grenzkompanien, die
offiziell nicht gern gehört wurde - wurde ich "Schweinfahrer" (sprich:
Kradfahrer). Wie bereits erwähnt, ersparte mir dies längere Touren als
Fußgänger und zudem kam ich um den "Test" herum, den die Postenführer (PF)
des 3. Diensthalbjahres gern mit den Posten des 2. Diensthalbjahres
veranstalteten: "Werrarunden" mit dem Funkgerät. Im Abschnitt Werra führte
ein Plattenweg ringsherum durch die Werraniederung und wenn der PF
"Werrarunde" anforderte musste der Posten Funkgerät, seine eigene
Verpflegungstasche (Tasche vom Sturmgepäck) und die des Postenführers
schleppen. Ich packte einfach alles auf die Seitenträger der 250er TS und
dann wurden die 4 bis 5 km eben im lockeren Tempo gefahren. Bei sommerlicher
Hitze war das sogar eine willkommene Abkühlung.
Ab und zu gab es auch paar Sonderaufträge, wenn Dokumente oder auch nur ein
paar Propagandafilme ins Bataillon oder gar ins Regiment nach Mühlhausen
gebracht werden musste. Da das Motorrad ein billigeres Transportmittel als
ein P3 oder ein "LO" war, durfte man mal ein längeres Stück auf zivilen
Straßen ohne Knarre drehen. Das machte mir, der ich privat nur ein S51
gehabt hatte, Riesenspaß.
Im Winter kamen die "Eisenschweine" nicht zum Einsatz, das Sturzrisiko mit
nachfolgenden Reparaturkosten sollte vermieden werden.
Im Großen und Ganzen hielt sich der "HG"-Zauber
(HG = Heimgänger = 3. Diensthalbjahr, woanders hießen die "EK" =
Entlassungskandidat) bei uns in Grenzen. Letztendlich wusste jeder, dass er
mit dem anderen im Grenzdienst auskommen musste. Die nervliche Belastung war
sowieso immens hoch, wir hatten immer die "Kaschi" mit 60 Schuss mit - und da
wollte kein HG riskieren, dass jemand wegen einer bösartigen, erniedrigenden
Schikane (wie sie bei anderen Waffengattungen üblich waren) durchdrehte und
ihm mit etwas Blei den Heimgang versaute.
Ansonsten war es wie überall auf dieser Welt: mit manchen verstand man sich
mehr, mit anderen weniger. Wichtig war, dass man bei der Einteilung für sie
Schichten jemanden erwischte, mit dem man sich 8 Stunden lang halbwegs
vernünftig unterhalten konnte.
Unser Zug (Winterhalbjahr 1983/84)
Der Grenzdienst war vor allem psychisch
anstrengend. Täglich 8 Stunden "Schicht", die sich mit Vor- und
Nachbereitung, An- und Abfahrt zu 12 Stunden summierten. Zusätzliche
Alarmeinsätze, Zusatz- oder 12-Stunden-Schichten an Schwerpunkttagen und der
sonst anfallende Dienst in der "Huscha" sorgten für ein permanentes
Schlafdefizit. Deshalb lag man de facto auch in jeder freien Minute auf der
Matratze und schlief. Viele glichen dies auch durch ein verbotenes
Nickerchen im Grenzdienst aus, was ich mir aber immer verkniffen habe, weil
bei eventuellen Erwischtwerden der Ort mit der Postleitzahl 133 (Schwedt,
dort war der Militärknast) drohte. Mein persönlicher "Rekord" waren 72
Stunden Grenzdienst ohne jeglichen Schlaf im Sommer 1983. Unbedingt lobend
zu erwähnen sind die Küchenfrauen (Zivilangestellte), die uns hervorragend
verpflegten (ich hatte in den ersten sechs Wochen in Treffurt 6 kg
zugenommen) und regelrecht bemutterten.
Unsere Gruppe (Winterhalbjahr 1983/84)
Ausgang gab es auch einmal pro Woche.
Allerdings war das Rahmenprogramm wesentlich eintöniger als in Eisenach:
Erst Abendbrot im "Ratskeller", dann bis halb 12 nachspülen,
dann fix zurück in die "Huscha". Manchmal war an besonderen Tagen (z.B.
Fasching) auch Disko, z.B. auf dem Normannstein oder in dem Flachbau an der
Werrabrücke. Ansonsten lohnte sich Nachmittagsausgang unter irgendeinem
Vorwand nicht, da die Stadt erstens recht klein war und zweitens jede
Abweichung vom Genehmigten vor der Rückkehr in die Einheit dort bereits
angekommen wäre. Der "Nachrichtendienst" der Einheimischen Richtung "Huscha"
funktionierte fast perfekt. Nicht das es ernsthaften Stress zwischen Grenzern
und Einwohnern gegeben hätte, aber die Bewohner der Grenzstreifens waren ein
wichtiger Faktor der Hinterlandsicherung als Bestandteil des
Grenzsicherungssystems. Und schon der Verdacht eines Verstoßes gegen die
Grenzordnung wurde weitergegeben.
In begründeten Fällen durfte man auch für einen Nachmittag nach Eisenach
fahren - meine immer wieder defekte Brille war so ein "triftiger Grund".
Alles in allem war ich aber dahingehend zufrieden, dass eigentlich kein Tag
wie der andere verlief, diese Abwechslung die Zeit verkürzte und mir
sinnlose Rennerei über irgendwelche Übungsgelände á la Mot.-Schützen erspart
blieb. Trotzdem wurde sehnsüchtig Tag für Tag gezählt und die letzten 150
Tage am Bandmaß abgeschnitten.
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Bandmaßpräsentation
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Neben dem Bandmaß für die letzten 150 Tage
wurden zum Tagezählen auch die üblichen Taschenkalender genutzt, auf denen
jeder absolvierte Tag um 18.00 Uhr per Nadel durchstochen wurde. Das Jahr
1984 endete bekanntlich am 26. April... *g*
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1983
1984
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Und am 26. April 1984 - dem
Tag der
Entlassung vom Grundwehrdienst - trug jeder von uns das HG-Tuch, auf dem
zuvor alle vom Jahrgang HG 84/I sich mit Name und Adresse verewigt hatten.
Einige Fotos vom Treffurter Grenzgebiet
findet man auf
https://www.grenzbilder.de/die-grenze-von-a-bis-z.php?search=Treffurt
(links als Suchbegriff "Treffurt" auswählen).
Fotos und Informationen
aus Treffurt und dem ehemaligen Grenzgebiet nach 1989
Grenzabschnitt und
Treffurt 2009
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